
Turnen: A Vocabulary of Revolutionary Gestures
Eine ortspezifische Ausstellung zu widerständigen Körpern im ehemaligen Turnsaal der Stasi von Elske Rosenfeld, mit Arbeiten von Gabriele Stötzer, Wolfgang Scholz und Elske Rosenfeld in einer Installation von Andrea Pichl
ist morgen letzmalig zu sehen: 18.12. 15 – 18 Uhr
ADRESSE: Haus 7 (5. & 6. OG) Campus für Demokratie, Ruschestraße 103, 10365 Berlin-Lichtenberg Im Haus 7 der Stasi-Zentrale befand sich ab 1979 die Hauptabteilung XX, zuständig
für die Überwachung des Staatsapparates, der
Kirchen und des Kulturbereichs sowie die Bearbeitung
der Opposition, und des so genannten Untergrunds.
Fast 500 Mitarbeiter*innen (Stand 1989) leiteten Operative Vorgänge und
Operative Personenkontrollen und rekrutierten und betreuten Informellen
Mitarbeiter. Der Raum im 6. OG des Hauses diente als Turnsaal und
Veranstaltungsraum, die Mitarbeiter*innen ertüchtigten sich in
Tischtennisturnieren und Yogastunden. Nach 1991 nutzte auch die BStU den Raum
weiter als Gymnastikraum für Angestellte. Die im Turnsaal und Foyer gezeigten Videoarbeiten untersuchen
Körperlichkeiten der späten DDR zwischen Widerspenstigkeit und politischer
Konstitutiertheit, Kontrolle, Kontrollverlust, Ent- und Ermächtung. Die
Ausstellung ist Teil von Rosenfelds fortlaufendem Projekt „A Vocabulary of
Revolutionary Gestures“, das ausgehenend von der Erfahrung der Revolution von 1989/90 und der
osteuropäischen Dissidenz untersucht, wie sich Geschichte und politische
Ereignisse in den Körpern ihrer Protagonist*innen manifestieren und in sie
einschreiben. In Spitze (1986, Super 8, 12 min)
>>Treppenaufgang zum Foyer, 5. OG// lässt Gabriele Stötzer (*1953in Emleben, Thüringen) (: „einen damaligen freund alle phallussymbole in erfurt
besteigen bzw. zeige den david-steinwwurf gegen die macht oben und überhaupt
das körperliche bewegen gegen mauern. es hat sich herausgestellt das der mann
ein ims “breaky” war und auf mich von der stasi angesetzt berichtet
hat und überhaupt kein freund war.” Gabriele Stötzer’s
Veitstanz/Feixtanz (1988, Super 8, 25 min) >>Turnsaal links am Fenster //bezieht sich auf den mittelalterlichen
Veitstanz, „der
im mittelalter wie eine krankheit war und [bei dem] die leute sich auf
öffentlichen plätzen und auch auf dem domplatz in erfurt trafen und bis zum
umfallen tanzten”, wie Stötzer schreibt. “also habe ich freunde und freundinnen
gefragt an für sie wichtigen orten in erfurt aus sich heraus bis zur ekstase zu
tanzen und dann noch einen bauchtanz einbezogen von einer schwangeren und den
historischen nachgetanzen bauchtanz der bauba die vor der unglücklichen isis
ihren rock hochgezogen und getanzt hat. und wenn ich eine frau ausziehe habe
ich das auch bei einem mann gemacht.” Wolfgang Scholz’(*1958, Dresden) Body Building, (16 mm, 1988,
19 min) >>Turnsaal, Monitor in der Installation// dokumentiert eine
Body-Building-Gruppe in Dresden. Scholz schreibt: „Body Building galt in der
DDR als ein ‚kapitalistischer Zweig’ vom Kraftsport. So konnten öffentliche
Veranstaltungen nur unter dem Deckmantel einer ‚sportlichen Umrahmung’ (neben
einem Wettkampf der Gewichtheber als eine Art geduldete Showeinlage) stattfinden.
Als ich 1987 begann einen Film über sie zu drehen, war einer der Protagonisten
22 Jahre alt. Er arbeitete als Pächter der Damentoiletten am Bahnhof
Dresden-Neustadt, war Mitglied der SED und Parteigruppenorganisator der
Toilettenpächter in Dresden. Ein Film über den Rhythmus und die bewusste Qual
bei den übungen mit den eisernen, selbst zusammengeschweißten Geräten und die
Vorstellung und Träume von Stärke, Kraft und besonderer körperlicher
Ausstrahlung. “ Elske Rosenfelds (*1974 in Halle/S.) Videos bearbeiten
Aufnahmen des oppositionellen Filmemachers Klaus Freymuth aus der Endzeit der
DDR dem Herbst, Winter 1989/90, in denen die (post-)revolutionäre Erfahrung
einen körperlichen Überschuss produziert, wenn sie das Sagbare überschreitet. Ein bisschen eine komplexe Situation(2014, 15 min) >>Foyer, 5. OG// Während des allerersten
Treffens des Zentralen Runden Tischs der DDR (einem Podium für den Dialog
zwischen Regime und Opposition) im Dezember 1989 geraten die Körper der
Mitglieder der Opposition durch die Geräusche einer Demonstration in Bewegung,
die sich außerhalb des Gebäudes versammelt. Die Bearbeitung des Materials
verstärkt diese Unruhe, um jene flüchtige Gemeinschaft nachzuzeichnen, die sich
durch die Geräusche, und die Bewegungen, die sie auslösen, zwischen drinnen und
draußen herstellt. Eine somatischen und klanglichen Vermischung in der sich
Radikalität der Ereignisse von 1989/90 deutlicher aus als auf der verbalen
Ebene dieses fast vollständig aus der Geschichte gefallenen Augenblicks
abbildet. Versuche/Framed (2018, 20 min) >>Turnsaal rechts// wirft mit der
Bearbeitung eines ein Jahr später ebnfalls von Freymuth aufgenommen Videomaterials
einen neuerlichen Blick auf die Ereignisse der Vorjahrs. Auch hier weisen
Bewegungen, Gesten und ein intensives Schweigen, über eine Sprache hinaus, die
sich in Bezug auf die eigene Erfahrung dissidenter Politiken als unzulänglich
erweist. Die Installation “TSC”
Künstlerin Andrea Pichl (*1964 in
Ost-Berlin) setzt die Videos in und gegen die Aura des historischen Ortes. TSC,
offiziell Berliner Turn- und Sportclub
e. V., wurde als „ziviles Gegenstück“ zu den beiden bereits
existierenden Sportvereinigungen der Nationalen Volksarmee und der Volkspolizei
gegründet. Auch der 1. FC Union Berlin, der Widerpart zum staatlichen
Renommierclub, auch „Stasiverein“ genannten BFC Dynamo, gehörte zum TSC Berlin,
ebenso ein Hochleistungsklub, in dem auch tausende Sportler unwissentlich
gedopt wurden. Die in der Installation verwendeten, zumeist aus
„Industrieschrott“ gefertigten Zäune sind Details aus der aus ökonomischen
Engpässen heraus von Bewohnerinnen eigentätig gestalteten Erscheinungen ihrer
Lebenswelt in der DDR – eine Form der Alltagskultur, mit der die DDR-Bürger
auch politische Gegebenheiten reflektierten. Turnen: A Vocabulary of Revolutionary Gestures wird gefördert vom Haupstadtkulturfonds. Das Buch zum Projekt erscheint 2020 bei Archive Books. Künstlerische Leitung: Chiara Figone
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